Ateliergespräch - Stefan Marx

Rene S. Spiegelberger mit Stefan MarxRS: Stefan, mit der Lousy Livin Company unterhältst du ein eigenes Fashion-Label. Startkapital waren 500 Mark, die dir deine Schwester borgte, als du 17 warst. Den Laden gibt es noch heute und er ist kein bisschen un-erfolgreich. Bist du ein Unternehmer?

SM: Ja, ich bin tatsächlich ein Unternehmer und ich würde vielleicht auch gern noch mehr Unternehmer sein. Aber das ist wahr, ich hab mein T-Shirt-Label The Lousy Livin Company mit 16 oder 17 gegründet. Vorher hatte ich T-Shirts einfach so bezeichnet, das waren dann wirklich Originalzeichnungen in Auflage, und irgendwann habe ich herausgefunden, dass man ja T-Shirts auch bedrucken kann. Siebdruck war mir bis dato fremd. Das hat dann natürlich eine professionelle Siebdruckerei gemacht, die dafür entlohnt werden wollte. Meine Schwester fing gerade in ihrem ersten Job an und hat mir dann 500 Mark geborgt. Meine Eltern hätten das sicher auch gemacht, aber es war irgendwie so lustig mit meiner Schwester. [lacht] Dann hab ich die erste Auflage drucken lassen und auf dem Schulhof verkauft und in zwei Skate-Shops in Kassel und Hamburg.

RS: Apropos Skaten: Du bist grafisch mit dem Skateboardfahren großgeworden. Was bedeutet das? Graffiti-Szene, Hiphop, Baggypants?

SM: Nein, gar nicht. Ich war nie hiphop-affin, bin ich immer noch nicht, das war nie richtig meine Musikrichtung. Es war mir immer ein bisschen zu prollig und nicht richtig meine Szene, damals zumindest. Mich haben eher gute Skateboard-Grafiken interessiert. Ich war aktiver Skateboard-Fahrer und fand alles, was damit zusammenhing, total super. Aber auch Skateboard-Firmen haben mich interessiert, die ihr Image durch Bilder definiert haben. Manche davon fand ich großartig, und da hat sich mein Verständnis für Bilder oder generell Bildersprache entwickelt. Und ich fand dann auch Skateboarder toll, die ihre eigenen Grafiken gemacht haben. Ich wollte unbedingt mal ein Board machen, was in einer Auflage hergestellt wird.

RS: Zurück nach Hamburg. Was macht für dich Hamburg aus, welche künstlerischen Impulse bietet es? Helfen dir Hafen und sein „Tor-zur-Welt“-Status, zwischen Internationalität, Kiez und hanseatischer Tradition?

SM: Also ich bin tatsächlich gern in Hamburg, muss aber auch sagen, dass es eigentlich für mich immer mehr einen Provinzstatus bekommt. Wenn man den Flughafen anschaut, ist es so überhaupt Null das „Tor zur Welt“. Was sehr schade ist, weil ich den Hamburger Flughafen in vielen Bereichen fantastisch finde. Aber ich bin nicht so wasseraffin. Der Hafen hat irgendwas, aber gibt mir persönlich wenig. Sonst bin ich gern in Hamburg wegen Freunden und Familie und den tollen Leute, die mich in der Kunst begleitet haben oder immer noch begleiten und mir auch viele Dinge gezeigt und verständlich gemacht haben.

RS: Kommen wir zu deiner Arbeit. Künstlerbücher spielen in deinem Werk eine große Rolle. Wir haben gerade einmal durchgeschaut und du hast rekapituliert, dass es über 50 davon gibt, die du in den letzten Jahren – ich glaube seit 2003 – aufgelegt hast. Teilweise in kleinen Editionen. Warum ist es dir ein Anliegen, dieser etwas in Vergessenheit geratenen Kunstgattung zu neuer Blüte zu verhelfen?

SM: Nun, das ist ein Medium, das extrem demokratisch ist, das man ganz einfach herstellen kann und sich für meine Art der Arbeit fantastisch eignet. Ich habe den Zugriff oder das Verständnis dafür auch durch die Skateboard-Kultur bekommen. Ich bin ja in den 90ern in der Prä-Internetzeit aufgewachsen und man hat sich ausgetauscht über Zines, das sind in Skateshops kopierte Hefte. Es gab natürlich kommerzielle Magazine, aber auch Fan-Zines, die am Kopierer in einer kleinen Auflage hergestellt wurden. So kam ich auch mit Zines in Verbindung, die von Künstlern gemacht wurden. 2003 habe ich mein erstes Heft gemacht, welches nur aus Zeichnungen bestand und ein Siebdruck-Cover hatte, 50er Auflage. Darüber habe ich den Schweizer Verleger Benjamin Sommerhalder vom Verlag Nieves, Zürich kennengelernt. Ich habe mir dort die ersten Hefte bestellt, die dann wahnsinnig gut verpackt, wahnsinnig gut gemacht, auf tollem Papier zu mir nach Hause kamen. Mit tollen Künstlern und ich dachte: Wow, das will ich eigentlich. Und warum macht er das? Kann man überhaupt davon leben? Ich hab mich dann mit ihm ausgetauscht, ihm meine Arbeiten geschickt und er hat mich eingeladen, ein eigenes Heft zu machen. Seitdem arbeite ich mit ihm zusammen. Über 20 meiner Veröffentlichungen sind mit Nieves entstanden.

RS: Seit 2007 arbeitest du mit Travel Zines, also sozusagen geschriebenen, visualisierten Reiseberichten. Braucht dein Werk die fernen Impulse aus New York, aus Japan, ist das für deine Arbeit auch bei den Porträts wichtig, andere Charaktere und Menschen zu treffen?

SM: Ja, unbedingt. Vor allem zu treffen und zu sehen. Diese Reisezeichnungen mache ich tatsächlich auch nur außerhalb von Hamburg. In New York oder Tokyo oder anderen Orten fällt mir das sehr viel leichter. Diese Reisehefte – Travel Zines – werden meistens mit Benjamin Sommerhalder herausgebracht und sind für mich rückblickend wie ein Fotoalbum. Ich mache gar nicht so viele Fotos auf Reisen, seitdem ich diese Sachen zeichne. Ich verlege mein Reisetagebuch, würde ich fast sagen. Man kann sehen, wem man so begegnet ist oder was für Charaktere meine Aufmerksamkeit bekommen haben.

RS: Zu den Charakteren: Du bist als Porträtzeichner zwangsläufig ein genauer Beobachter. Lässt du dich manchmal beim Porträtieren ertappen oder ist das vielleicht auch gar nicht vermeidbar? Hast du dazu ein Lieblingserlebnis?

SM: Ich habe in New York bei der Buchmesse mal einen Besucher gezeichnet, und die fertige Zeichnung relativ schnell in einem Rahmen hinter meinen Stand gehangen. Dann kam er nochmal vorbei und fand das heraus, weil ich auch den Pulli gezeichnet hatte. Wir haben dann darüber gesprochen und das sind sehr positive Momente.

RS: Da war es wahrscheinlich hilfreich, dass er den Künstler Stefan Marx vor sich hatte.

SM: Ja, genau. Man bekommt erst mit der Veröffentlichung ein Feedback, man bekommt Kommentare, man bekommt Kritiken, man bekommt Lob.

RS: In der Hamburger Kulturszene ist das Thalia-Theater gesetzt. Seit der letzten Spielzeit trägt es im Plakatprogramm und eigentlich der gesamten CI deine Handschrift. Mit Schwarz-weiß gab es ja schon ganz gute Voraussetzungen. Warum passt Thalia zu Marx?

SM: Das Thalia hat mich angefragt, die Grafik für die Lessing-Tage zu machen. Das ist ein Theaterfestival, das immer Ende Januar, Anfang Februar stattfindet. Und das Thalia ist bei mir hoch angesehen, vor allen Dingen auch die Artdirektion, das ist mein Freund Mirko Borsche. Er war mal relativ verzweifelt bei der Aufgabe des Thalia-Programmhefts der Lessing-Tage. Bei den Lessing-Tagen geht’s ja um Gastspiele, die alle einen anderen Look haben. Das Fotomaterial – wenn es denn Fotomaterial gibt – ist wahnsinnig verschieden. Oft sind es aber auch Erstaufführungen und, weil das Heft natürlich fast ein halbes Jahr vorher in den Druck muss, gibt es noch gar kein Fotomaterial. Der Artdirektor meinte, lass uns doch mal Stefan fragen, der kennt sich mit Heften aus und macht super Zeichnungen und der überarbeitet eventuell die Fotos oder er findet Zeichnungen für die Stücke, wo es kein Fotomaterial gibt. Und so kam ich zum Thalia und habe mit der Chef-Dramaturgin und der Artdirektion diese Programmhefte ausgearbeitet, jetzt zum zweiten Mal.

RS: Du hast in deiner Arbeit, wenn es nicht um die typografischen, klassischen Sachen geht, Spaß an „All-Overs“, an flächendeckenden Motiven, die sich fortsetzen. Gibt es für dich Themen, die dich im Bereich Produktdesign, im angewandten Bereich noch reizen? Tapete, Teppichboden?

SM: Teppich ist tatsächlich in der Mache mit Jan Kath, dem tollen Hersteller aus Bochum. Stoffmuster finde ich fantastisch. Das habe ich damals auch bei Lousy Livin und Cleptomanicx viel gemacht. Stoffmuster ist ja wie Tapetenmuster, es ist endlos, ein Rapport muss passen. Sonst bin ich aber auch großer Fan von Labels, die eine tolle Arbeit machen, wie zum Beispiel Hermès mit ihren 140x140-Tücher. Oder generell Oberflächen und ganz oben auf meiner Wunschliste ist tatsächlich einfach ein Flugzeug. British Airways hat ja zumindest die Heckflossen von Künstlern wie Jim Avignon machen lassen oder zur Olympiade in London einen A320 von Tracey Emin. Ich meine, dann gibt es natürlich diese ganz bekannten Flieger von Qantas, Australien, die von einem Aborigine-Künstler bezeichnet wurden, das sieht auch wahnsinnig gut aus. Und die japanische Kultur treibt es natürlich mal wieder auf die Spitze. Die haben Pokémon-747!

RS: Bei deinen Arbeiten hat man häufig den Eindruck des Impulsiven und Spontanen. Wenn man dir beim Zeichnen zuschaut, bekräftigt das diesen Eindruck, du bist ein Schnellzeichner. Kannst du das auch bei deinen großformatigen Leinwandarbeiten aufrechterhalten oder ist das gar nicht immer relevant?

SM: Das ist nicht unbedingt relevant. Man muss schon ein gewisses Konzept mitbringen, wenn man eine anfängt. Meine Arbeitsweise ist zumindest immer Anfang und Beenden in einem Rutsch. Keine Leinwand bleibt bei mir halbfertig über Nacht stehen. Für mich ist das ein Prozess, der so durchlaufen werden muss, ohne Ablenkung.

RS: Limitiert das auch die Endlichkeit des Formats? Weil mehr an Quadratmetern für dich nicht schaffbar ist von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang?

SM: Da würde ich schon Abstriche machen. Eine große Wandzeichnung mache ich natürlich auch an einem anderen Tag weiter, keine Frage.

RS: Reizt dich das Thema „Urbane Intervention“? Du bist immer mal wieder mit dem Thema Flaggen konfrontiert gewesen. Deine Flaggen hingen für den Hamburger Kunstverein, damit bist du sehr stark im Stadtbild sichtbar und das wird auch in extremer Form wahrgenommen. Du kannst Botschaften platzieren. Willst du da weiterdenken, ist dir das ein Anliegen?

SM: Ja, das war zumindest ein sehr guter Ansatz und gerade in Hamburg, einer Stadt der Fahnenmasten und Flaggen, sollte man darüber nachdenken. Natürlich sollten auch Grundbesitzer, Immobilienbesitzer noch mehr über Wandbilder von Künstlern nachdenken. Und ich kann mir sehr gut eine große Schriftarbeit auf einer Riesenfassade vorstellen, die die Vorbeikommenden, die Umgebung beeinflusst. Oder auch eine große Zeichnung, die vielleicht fast ins Abstrakte geht. Auf dem Format hat man natürlich auch als Betrachter oftmals Probleme, das in einem Guss zu erfassen. Aber das wäre schon toll.

RS: Abschließende Frage zielt in den Bereich Magazin, in dem wir dieses Gespräch auch veröffentlichen werden: Du hast vor zwei Jahren noch postuliert: „Print is not dead.“ Die Zeit ist schnelllebig, stimmt das noch immer?

SM: Ja, definitiv, das stimmt noch immer. Print is definitely not dead.

RS: Warum glaubst du weiter an Print?

SM: Print ist einfach fantastisch. Zur documenta X, „100 Tage – 100 Gäste“, hatte Catherine David eingeladen. Ich war abends immer bei Vorträgen und traf auch den Chefredakteur der FAZ. Er meinte: Man nimmt ein Magazin mit in die Badewanne, man kann mit einer Zeitung Schuhe ausstopfen, und so hat er ganz viele tolle Beispiele für „Print is not dead“ gefunden. Aber bei Künstlerbüchern und –magazinen finde ich die Reisegeschwindigkeit fantastisch. Man braucht einfach nur Licht, um sie zu genießen. Man kann sie fühlen, die Haptik und es gibt ganz viele Ebenen, die man digital nicht ersetzen kann.

RS: Lieber Stefan, ich danke dir für das Gespräch.

Das Gespräch führte Rene S. Spiegelberger am 14. Februar 2017 im Studio des Künstlers in Hamburg.