Ateliergespräch - Leiko Ikemura

Heiko Ikemura und Rene Spiegelberger in der NZZIn der letzten Ausgabe stellten wir Ihnen mit Thorsten Brinkmann einen Künstler vor, der mithilfe re-inszenierter Fundstücke vertraute Sehgewohnheiten bricht und spielerisch gesellschaftlich verankerte Symbolik konterkariert.  Die Bildhauerin und Malerin Leiko Ikemura prägte durch ihr umfassendes Œuvre ebenfalls eine eigene Bildsprache. Auch wenn sie sich nicht als Mittlerin zwischen den Gesellschaften ihrer asiatischen und europäischen Heimat verstanden wissen will, resultiert ihr internationaler Erfolg dennoch auch auf der universellen Lesbarkeit ihrer vielschichtigen poetischen Formensprache. Aktuell zeigt das Kunstmuseum Ahrenshoop die Sonderausstellung ‚Ikemura und Nolde’.

RS: Liebe Leiko, in den 70er Jahren, in der Fortsetzung deines Studiums, das du in Osaka begonnen hattest, bist du nach Salamanca gegangen, einer der ältesten europäischen Universitätsstädte. Knapp zehn Jahre später siedeltest du dann in die Schweiz über. In Zürich gab es Anfang der 80er Jahre dieses von dir angesprochene Pulsieren der Kunstszene. Stecktest du da gleich mittendrin oder gab es für dich erstmal ein nächstes Aufeinanderprallen der Kulturen, das es für dich zu überwinden galt?

LI: Absolut. Ja, beides. Also eigentlich ein großer kultureller und mentaler Kontrast und damit war es auch ein Konflikt für mich, weil ich mich auch lange Zeit enorm mit der spanischen Kultur identifiziert habe und auch der Lebensart. Und dann komme ich zu dieser etwas rigideren, aber sehr verlässlichen Lebensart und teilweise Kälte des Klimas – aber menschlich kann man das auch so empfinden, je nachdem. Der deutschsprachige Raum und der lateinisch-sprachige Raum, das sind zwei Welten. Ich fühlte mich eigentlich mehr in Spanien zu Hause, in Andalusien, das ist ja noch mal ein anderes Extrem. Und von Spanien zu dieser effizienten, finanziell sehr erfolgreichen Großstadt Zürich, das sind schon Welten. Gleichzeitig, wie ich schon vorher gesagt habe, brannte Zürich Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre. Es gab die Jugendbewegung und eine offene Gesellschaft in der Kunst, was es so nie gegeben hatte. Das war vielleicht auch ein Glück für jemanden, der fremd reinkommt. Nicht, dass mich alle mit offenen Armen empfangen hätten, aber es gab wenig Ausgrenzung. Zugang hatte ich auch über durch meinen damaligen Partner, einen Kunsthistoriker, der in Luzern und Zürich gewirkt hat. Ich habe alle Eindrücke intensiv aufgesogen. In Sevilla, wo ich studiert habe, gab es während der Franco-Zeit nichts Vergleichbares, amerikanische Einflüsse wurden gemieden. Zu dieser Zeit war Spanien in der Entwicklung 50 Jahre zurück, da herrschte also eine ganz andere Situation als in der Schweiz und Deutschland, wo man das ganze 20. Jahrhundert eigenständige zeitgenössische Kunst gestaltet hatte, die parallel in den USA lebendig und aktuell war. Gegenwartskunst war in Spanien kaum zu sehen.

RS: Die 80er Jahre waren in der Kunst wohl überall legendär. Ob New York, West-Berlin oder eben auch Zürich. Das hat auch eine besondere Art der Kunst hervorgebracht. Die Kuratoren deiner letzten Ausstellung rückten deine Arbeiten aus dieser Zeit, wie beispielsweise im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln, wieder mehr in den Fokus. Anfangs warst du von dieser Idee, wie du uns berichtetest, nicht ganz so begeistert. Warum nicht?

NZZ EditionLI: Es hätte so einen Hauch von Retrospektive. Ich möchte an die Situation von damals ohne Nostalgie erinnern. Es ist nicht richtig, wenn diese Zeit zu viel Raum einnimmt, da ich mich entwickelt habe. Es gab schon – das war damals der neue Boom – eine bestimmte Art der Malerei, die sogenannten Neuen Wilden. Es wurde dann im Laufe der Zeit ziemlich beliebig. In den 80er Jahren gab es diese Prägung in Bezug auf Malerei, dass man nicht nur den Intellekt und Konzeptionalismus, sondern wieder mehr Bilder suchte mit Haptik und Sensualität, dass man wieder mehr das Sinnliche betonte. Dazu stehe ich auch heute noch. Es war quasi die Basis, nur habe ich mich formell-inhaltlich weiterentwickelt. Deshalb ist mir wichtig, diese Zeit zwar zu integrieren, aber in einer Ausstellung, die einen Überblick der Gegenwart zeigt, sollten dennoch nicht nur Werke der achtziger Jahre enthalten sein.

RS: Titel deiner Ausstellungen lauten „All about Girls and Tigers“, „Korekara oder Die Heiterkeit des fragilen Seins“, „Wusstest du, ich habe zwei versteckte Flügel“ oder „Artists, Popes & Terrorists“. Erzählst du mit deiner Kunst gern Geschichten?

LI: Nicht Geschichten, aber die Titel kennzeichnen politische Lebensphasen und poetische Beobachtungen. Gleichzeitig möchte ich mit existenziellen Themen eher subversiv umgehen. Meine Jugend mit dem existenzialistischen Hintergrund beeinflusst mich bei der Auseinandersetzung mit verschiedenen gesellschaftlichen Themen. Dies plakativ von mahnenden Begriffen begleiten zu lassen, ist nicht mein Ding. Aber ich liebe Wörter, ich liebe sie nicht nur in ihrem literarischen Aspekt, sondern es interessiert mich, wie Wörter in der bildenden Kunst mit agieren. Wir haben schon über Joseph Beuys gesprochen, er ist explizit in dieser Hinsicht enorm lebendig. Dieser Kontrast von Wort und Bild, Wort und Materie. Damit auf eine sehr besondere Art und Weise umzugehen, interessiert mich sehr. Deshalb sind es nicht unbedingt Geschichten, sondern mehr Haltungen.
So bedeutet z.B. korekara „von jetzt an“. Die Ausstellung wurde der Zeit nach der Katastrophe in Nordjapan gewidmet. Bei „All about Girls and Tigers“ wollte ich die Klischees von Weiblichkeit und asiatischem Sinnbild auf den Arm nehmen und gleichzeitig Eurozentrismus kritisch sehen.

NZZ EditionRS: Ist das auch der Grund, warum du mit deinen Werktiteln und den Titeln der Ausstellungen den Betrachter selber ein Stück weit an die Hand nimmst? Es ist ja selten der Fall, dass du dich mit einem in der heutigen Kunst häufig so gebräuchlichen „Ohne Titel“ begnügst. Liegt hier vielleicht auch eine Brücke zu deiner Poesie, die du auch immer wieder in deine Ausstellungen einfließen lässt?

LI: Eine Zeit lang habe ich immer „Ohne Titel“ benutzt, aber, wenn man das länger macht, kann man kaum noch zwischen den Arbeiten von damals und jetzt unterscheiden. Ich hatte das Gefühl, dass es schön ist, wenn die Werke eine Art Namen hätten. Bei deinen Kindern würdest du auch nicht sagen „Ohne Titel“ oder „Namenlos“. Es ist auch pragmatisch, zu unterscheiden. Und die Ausstellungstitel sind schon irgendwie eine subversive oder versteckte Message.

RS: Sicherlich kann man nicht sagen, dass deine Kunst europäisch oder asiatisch ist. An dem internationalen Interesse an deiner Arbeit erkennt man aber sehr deutlich, dass dein Werk hier wie dort aufgenommen und vor allem auch verstanden wird. Das ist zwischen diesen so fernen Kulturen nicht immer einfach. Verstehst du dich hier auch als Mittlerin?

LI: Nein, ich bin kein Mittlerin, sondern eher eine Akteurin, ich vermittle nicht Inhalte zweier unterschiedlicher Kulturen und deren gedanklichen oder philosophischen Hintergrund, sondern ich lebe darin. Aber im Grunde werde ich Teil davon. Der ständige Kampf zwischen dem Fremdsein und den Gefühlen von Engagement für und in einer Gesellschaft, in der ich bin – es ist für mich immer beides. Ich bin sofort da und auf Augenhöhe mit den anderen, das ist mein Motto, egal wo ich ankomme. Deshalb ist mir die Sprache wichtig, auch die visuelle, weil sie einem Kommunikation erst ermöglicht. Was ich mache, bildet in mir eine Einheit, mit der ich verschiedene Kulturen durchdringe. Ich bin wie ein Medium, aber nicht, um „einen Synthese aus Ost und West zu bilden“, das wäre dann eine Mixtur. In dem Sinne bin ich keine Mittlerin.

RS: Auch deine Kunst ist ja „sofort da“. Worin siehst du die Ursachen für dieses globale, universelle Verständnis deiner Kunst? Sind es die Themen von Natur und der zunehmenden Sensibilisierung unseres Umgangs mit ihr? Oder auch das Dialogische deiner Plastik, die den Betrachter zwangsläufig mit vielen Fragen empfängt, aber vielleicht auch mit vielen Fragen entlässt?

LI: Wichtig scheint mir der gegenwärtige Moment, der alle Differenzen überwinden lässt. Und deshalb ist es wichtig, über Joseph Beuys zu sprechen. Er war die Verkörperung einer holistischen künstlerischen Haltung. Natürlich ist die Natur und das Animalische ein sehr wichtiger Punkt. Aber es geht nicht um eine rein romantisch-idealisierte Natur. Ich glaube, dass die Menschheit noch immer eine Ur-Kraft besitzt, der wir uns anvertrauen müssen. Und in dem Moment gehen wir über die kulturellen Differenzen hinaus.

RS: In einem universalen Geist gedacht?

LI: Im Detail gibt es natürlich Differenzen und unterschiedliche Haltungen dazu, daher ist Beuys für mich eine interessante Figur. Obwohl er von einem ganz anderen kulturellen Hintergrund kommt, gibt es eine Ebene, auf der ich mit seinem philosophischen Diskurs und Denken voll und ganz auf Wellenlänge bin. Es ist die Fortsetzung von Rudolf Steiners Ansatz und anderen ähnlichen Ansätzen. Diese Leute hatten dieses holistische, sphärische Denken, das ich als Japanerin in mir habe.

RS: Wenn man sich mit deinem Werk auseinandersetzt, tauchen immer wieder bestimmte Begrifflichkeiten auf: Verantwortung, Respekt, Demut, Vergänglichkeit, Fragilität, Verwundbarkeit. Dinge, die auch in der Naturreligion des Shintoismus, in der Ehrfurcht vor der Natur und ihrer Schöpfung ihren Ausdruck finden. Du bist eben schon so ein bisschen auf das Thema Spiritualität eingegangen. Spiritualität und Esoterik: Wie tief steckt das in deiner Kunst drin?

LI: Esoterik nicht, aber Spiritualität. Wir sollten das Seelische sehr wichtig nehmen, genauso wichtig wie unseren Intellekt. Wir haben vorhin von den holistischen oder umfassenden Möglichkeiten gesprochen. Wenn die Menschheit dahin kommen soll, würde das nur gehen, wenn wir dem Seelischen viel mehr Gewicht und Bedeutung geben. Esoterik hat so einen Touch von New Age und ist eine Art Pseudoreligion. In der Renaissance war der Schöpfergedanke gottesnah, und es ist auch heute vielleicht so, dass ein Künstler dieses arrogante „Ich bin der Schöpfer“-Selbstbild hat. In der heutigen Kunstszene, wo jeder sein Ego höchsten Raum gibt, wird das dann honoriert und gefeiert. Es geht auch nicht um Branding – es ist eine andere Haltung, eigentlich Demut im Sinne von Namenslosigkeit. Diese Spiritualiät ist nur möglich, wenn man sich selber, das eigene Ego überwindet.

2014 St. Moritz Art Masters | Leiko Ikemura | Blick auf Usagi KannonRS: In deiner Plastik lässt du die Frage offen, ob es sich bei diesen zweifelsohne figurativen Arbeiten um Menschen, Tiere, Pflanzen oder auch Zwitterwesen handelt. Suchst du hierbei selber nach einer Antwort oder ist es dir vielleicht sogar hilfreich, dass dieses offenbleiben darf und soll?

LI: In den letzten 20 Jahren, während meiner Zeit als Professorin, habe ich Kollegen beobachtet und welche Vokabeln sie benutzen, um Qualität zu untermauern: Stärke, Klarheit, Position, Sicherheit oder Fertigkeit. Und ich benutze andere Wörter: Dazu gehören Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Ambivalenz. Wenn man diesen anderen Haltungen mehr Wert beimessen würde, was würde passieren? Es ist sehr schwer, wie Susan Sontag geschrieben hat, gegen die meanings, also Bedeutungen, zu arbeiten. Wir agieren dauernd mit Bedeutungen, und ich möchte viel distanzierter damit umgehen. Ich glaube, jede Bedeutung hat einen anderen Subkontext und Subtext. Menschen, Tiere und Pflanzen, das sind drei Kategorien, bei denen es im westlichen Denken eine gewisse Hierarchie gibt. Alle Künstler, die ich schätze, haben genau diese Hierarchie eingerissen. Was die Energie dieser Lebewesen angeht - ob es eine weibliche Figur ist, ein Tierkadaver oder Obst – sie haben eine gewisse Äquivalenz. In meinem Fall ist es nicht unbedingt ein Nebeneinander der Dinge, sondern mich interessiert diese Hybridität. In jedem Menschen sehe ich einen Baum, einen Löwen oder Pinguin oder anderes. Das ist nicht einfach hineinprojiziert, sondern ich erkenne sie. Ich erkenne diese „Pinguinität“ in einem Menschen. Ich spüre sie, ich empfinde sie. Und nur so kann ich die Menschen auch lieben. Da kommt irgendein Angeber-Typ, ich aber sehe bestimmte Attitüden, Kräfte eines Baumes oder eines Tieres – wenn man das empfindet, kann man auch diesen Menschen akzeptieren oder gar lieben.

RS: Du arbeitest sehr viel mit Ton und hast auch schon den Bezug zum menschlichen Körper hergestellt. Geht es dir hierbei auch um diesen Kreislaufgedanken?

Portrait Leiko Ikemura Photo © Astrid Piethan 2015LI: Wenn man mit der Erde arbeitet, das hat schon etwas von Urkraft. Gleichzeitig sind es auch verschiedene Elemente, zuerst das Wasser und die Erde, als nächstes dann das Feuer – diese Verwandlung von Materialität ist ein sehr interessanter Kreislauf. Aber auch ein Kreislauf im Sinne von Form-Formation. Hier ein Klumpen Ton, erst ist er noch nass, dann verliert er immer mehr Wasser-Elemente und bekommt eine andere Konsistenz. So eine Transition hat auch eine suggestive Kraft. Du suggerierst etwas oder schaffst eine Form. Und dann ist da der Zerfall. Das ist nicht wie Bronze, die fast nicht kaputtgehen kann, außer durch eine Atombombe. Sie überdauert die Zeit. Keramik geht auf in Scherben. Es gibt verschiedene Formen des Kreislaufgedankens.

RS: Vielen Dank für deine Zeit.

Das Gespräch mit Leiko Ikemura führte Rene S. Spiegelberger am 11. Februar 2017 in ihrem Berliner Atelier. Weitere Informationen über die Arbeit der Künstlerin finden Sie unter www.leiko.info. Leiko Ikemura wird vertreten von Galerie Karsten Greve in Köln. (www.galerie-karsten-greve.com) Die Ausstellung ‚Ikemura & Nolde’ im Kunstmuseum Ahrenshoop läuft noch bist zum 08. Oktober 2017. (kunstmuseum-ahrenshoop.de) Das vollständige Interview sowie weitere Gespräche dieser Reihe können Sie auf spiegelberger-stiftung.de nachlesen.